Rasend spannend:
Krimis von
Robert Klement

Verführung Dschihad

Warum ziehen Teenager aus Österreich in den „Heiligen Krieg“? Der Autor Robert Klement hat darüber ein Buch geschrieben.

Er wollte eine Bombe am Wiener Westbahnhof zünden: Mertkan, 14 Jahre alt, Schüler aus St. Pölten. „Allah hat mir befohlen, möglichst viele Ungläubige zu töten“, sagte er bei der Polizei. Mertkan G. war für mich der Anstoß, dieses Buch über Extremismus zu schreiben.

Die beiden Wiener Mädchen Samra und Sabina verschwanden im April 2014 nach Syrien, um ihrem Gott zu dienen. Damals wurden viele auf den „Heiligen Krieg“ erstmals aufmerksam. Sabina soll inzwischen bei Kampfhandlungen ums Leben gekommen sein, behaupten Zeugen, Samra sei nach einem Fluchtversuch erschlagen worden. Von Kämpfern des „Islamischen Staates“, die sie für ihre Brüder gehalten hatte.

Fast 300 zumeist junge Leute sind aus Österreich in den Dschihad nach Syrien und den Irak gezogen. Die aufgeschreckte Öffentlichkeit rätselte über diese „Teenie-Terroristen“: Wie können sich scheinbar normale Jugendliche in kurzer Zeit zu radikalen Monstern verwandeln – bereit zu sterben für eine Religion, die sie für den Islam halten?

Bei den Gerichtsprozessen fiel mir auf, wie kaltblütig und unbeteiligt sich einige Dschihad-Heimkehrer gegeben haben – so, als ginge sie das alles nichts an. „Ich habe doch nie einen Schuss abgegeben“, beteuerte der 16-jährige Oliver N. „Ich war bloß Rettungsfahrer.“ Doch die Polizei hatte auf Facebook Bilder gefunden, auf denen er mit der Kalaschnikow und der schwarzen Fahne im Freundeskreis posiert. Die Jugendpsychiaterin hielt in ihrem Gutachten fest: „Das fanatische Gedankengut ist zu stark verwurzelt.“ Sie sah sowohl bei Mertkan als auch bei Oliver kaum Aussicht auf Besserung. Gemeinsam war beiden Jugendlichen der fehlende Vater. An seine Stelle trat der allmächtige Allah, der den rechten Weg weist, der bestraft und befiehlt: keine Drogen, kein Alkohol, fünfmal täglich beten …

Natürlich war es viel zu riskant, im Kriegsgebiet vor Ort zu recherchieren. Es gab Journalisten, die in Syrien vom IS gekidnappt und gegen Zahlung von hohem Lösegeld freigelassen wurden. Um ein wenig Eindruck von der Landschaft und den Menschen zu bekommen, war ich im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Dort wollten mir zwielichtige Händler „heiße Informationen“ über den IS verkaufen, zumeist gefälschte Dokumente und Listen mit den Namen von Kämpfern aus ganz Europa.

Für alle Personen in meinem Roman „Halbmond über Rakka“ gibt es reale Vorbilder. Auch für den Imam einer Moschee, der Jugendliche verführt, in den Dschihad zu ziehen. In Wien habe ich mehrere Moscheen, auch eine sogenannte Hinterhofmoschee besucht. Sie befand sich in den Räumlichkeiten eines ehemaligen Tanzstudios und bestand aus einem Gebetsraum, Freizeiträumen, einer kleinen Küche und einem Lebensmittelladen. Hier fanden und finden viele Jugendliche eine Heimat, Anerkennung, eine „Familie“. Es sind zumeist soziale Verlierer, Enttäuschte, Entgleiste aus brüchigen Familien. Oft werden sie dort radikalisiert und gehen Hasspredigern auf den Leim.

Einige berüchtigte Moscheen in Wien, Graz und Linz werden vom Staatsschutz durch verdeckte Ermittler überwacht, manche sogar mit Mini-Mikrofonen verwanzt. Ein Jugendlicher erzählte mir, wie er ins Fadenkreuz der Polizei geraten war. Er hatte in einer türkischen Teestube damit geprahlt, nach Syrien zu wollen, um dort als Märtyrer zu sterben. Dabei war er an einen Polizeispitzel, einen bezahlten V-Mann des Verfassungsschutzes, geraten. Die Polizei hatte sein Handy abgehört, seinen Computer mit Spähsoftware durchforstet. Der Bursche kam wegen „Bereitschaft zum Dschihad“ in U-Haft und wurde später zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt.

Auf viele Jugendliche wird die Polizei aufmerksam, weil sie sich im Internet radikalisieren. Sie hören auf Youtube Hassprediger oder googeln gezielt nach islamistischen Inhalten. Mertkan G. hat keinen Sprengkörper gebaut, doch allein das Herunterladen von Bombenbauplänen aus dem Internet ist strafbar. Er zeigte vor dem Richter weder Reue noch Einsicht und musste von der zweijährigen Haftstrafe acht Monate absitzen. Dschihad-Heimkehrer Oliver N. kam mit zweieinhalb Jahren unbedingter Haft weniger glimpflich davon.

TOPIC: Warum sind so viele Jugendliche in den „Heiligen Krieg“ gezogen?
Sie wurden geschickt verführt und mit allerlei Versprechungen geködert. Der Islam wird oft missbraucht, um Terror und Kriege zu rechtfertigen. Vielen ging es aber gar nicht um die Religion, sondern um Protest und Provokation, auch Abenteuerlust spielte eine Rolle.

TOPIC: Wie kann man Radikalisierung wirksam bekämpfen?
Terrorbekämpfung muss vor allem Terrorursachen-Bekämpfung sein. Und das bedeutet, noch mehr in Integration zu investieren. Noch mehr Polizei und noch mehr Überwachung lösen das Problem nicht. Der Verfassungsschutz sammelt riesige Datenmengen und ist oft überfordert, Wesentliches zu erkennen und zusammenzuführen.

TOPIC: Welche Gefahr besteht für Österreich?
Am gefährlichsten sind die „einsamen Wölfe“, Verlierer, die sich im Stillen radikalisieren und sich spektakulär von der Welt verabschieden wollen. Die Polizei hat sie nicht auf dem Radar, weil sie keine verdächtigen Telefonate führen oder Mails schreiben. Ihnen genügt ein Messer oder ein Pkw, um Ungläubige zu attackieren.

TOPIC: Ist mit dem möglichen Ende des „Islamischen Staates“ auch die Terror-Gefahr gebannt?
Man kann den „Islamischen Staat“ militärisch schlagen, aber dann ist er noch lange nicht besiegt. Die Islamisten werden Krieg aus dem Untergrund des Internets führen. Ehemalige IS-Soldaten werden in anderen Ländern kämpfen oder in ihre Heimatländer zurückkehren. Experten sind der Ansicht, dass die Terrorgefahr in Europa eher größer wird.

TOPIC: Die Haltung vieler Österreicherinnen und Österreicher gegenüber dem Islam hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Warum?
Als ehemaliger Lehrer habe ich viele muslimische SchülerInnen und deren Eltern kennengelernt und bin überzeugt, dass die überwiegende Mehrheit der fast 600.000 Muslime dieses Landes ihren Glauben friedlich und im Einklang mit den Grundwerten dieser Gesellschaft ausüben will. Eine radikale Minderheit bringt sie in Verruf. Verblendete Fanatiker werden Polizei und Justiz vermutlich noch lange beschäftigen.

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Robert Klement