Die Cabo Santa Maria zählte damals zu den größten Frachtschiffen Europas. Sie war auf dem Weg von Spanien nach Brasilien. Die Schiffsladung bestand auch aus vier riesigen Glocken – ein Geschenk der spanischen Regierung für Brasilien, gedacht für die neue Hauptstadt Brasilia. Der Frachter geriet bei den Kapverden in einen mächtigen Sturm. Der Kapitän und die halbe Mannschaft waren betrunken. Die Glocken rissen sich von den Spanngurten los und stürzten ins Meer, die Fracht verrutschte, das Schiff bekam Schlagseite, wurde manövrierunfähig, Wind und Strömung drückten es ans Ufer. Die Nachricht von dem gestrandeten Frachter verbreitete sich auf der Insel Boa Vista wie ein Lauffeuer. Die armen Bewohner plünderten das Schiff. Konserven, Wein, Kleider – viele nützliche Dinge. Sie brauchten nur wenige Stunden, dann hatten sie die Fracht „gelöscht“. Auch mit Hilfe eines eigens konstruierten Aufzugs. In der Cabo Santa Maria sahen sie ein Geschenk des Himmels. Sie brachten die Beute mit Mauleseln fort. Sie hatten nun Vorräte für ein ganzes Jahr. Die zehn Matrosen und der Kapitän kehrten nach Spanien zurück. Es gab auch das Gerücht, der damalige Leuchtturmwärter habe das Seefunkfeuer abgeschaltet, um das Schiff zum Stranden zu bringen.
Ein halbes Jahrhundert später sind die Kapverden ein begehrtes Ziel für Touristen.
Von den 15 Inseln sind neun bewohnt und zwei touristisch erschlossen. Auf den Inseln Sal und Boa
Vista wurden Luxushotels errichtet. Das Wrack der Cabo Santa Maria auf Boa Vista ist ein
Touristenmagnet. Man kann es nur mit dem Quad erreichen. Brandung, Sonne und Stürme setzen dem
Rosthaufen zu. Das einst stolze Schiff ist nach und nach zerfallen. In zehn Jahren wird es verschwunden
sein.
Die Kapverden sind eines der kleinsten Länder der Welt, 600 Kilometer von Westafrika entfernt. Die
Gesamtfläche entspricht dem Burgenland. Boa Vista wirkt auf den ersten Blick unwirtlich und
menschenfeindlich. Eine Wüste mit Vulkanschloten, eine rotbraune Mondlandschaft. Was macht sie für
Touristen so anziehend? Die Antwort ist einfach: traumhafte, schier unendlich weite, feine Sandstrände,
kristallklares Wasser, Sonne, um dem Winter in Europa zu entfliehen.
Erschreckend ist das Aufeinandertreffen von Touristen mit den Einheimischen. In den Luxushotels
herrschen Überfluss und Verschwendung. Die Touristen des Reiseveranstalters TUI fallen in die
Dörfer ein wie eine Besatzungsarmee. Mehrmals am Tag rollt eine Flotte von sieben bis zehn Jeeps durch
die engen Gassen. Ein Ausflug führt zum „ärmsten Dorf der Insel“ (TUI-Ausflugstipps). Die Männer von
Povoacao de Velha kauern vor ihren primitiven Unterkünften, Hunde streunen um die Häuser, die Touristen
filmen und fotografieren. Hier gibt es keine Arbeit. Die Menschen leben von ein paar Ziegen, Hühnern und
vom Fischfang. Das Klima der Kapverden ist extrem trocken. Einmal in der Woche bringt ein Tankwagen
Wasser, für das die Bewohner bezahlen müssen. Viele Kinder haben weder Schulhefte noch Stifte. Noch vor
kurzem sind hier Reisegruppen mitten in den Schulunterricht geplatzt. Das wurde inzwischen untersagt.
Frauen aus Povoacao de Velha pendeln jeden Tag über holprige Pisten zu den TUI-Hotels, wo sie als
Reinigungskräfte und Küchenhilfen beschäftigt sind. Ein Angestellter des Hotels verdient EUR 200,- im
Monat. Wer kann, verlässt die Inseln. In Porto (Portugal), Hamburg und den USA haben viele Arbeit
gefunden und schicken Geld für die Verwandten.
Santa Monica Beach heißt der berühmteste Strand der Kapverden, er befindet sich auf Boa Vista.
Manche behaupten, er sei der schönste Strand der Welt. Vielleicht auch deshalb, weil hier noch keine
Touristen und Hotels zu finden sind. Noch gibt es auch keine Straße, die ins Paradies führt. Sicher
nicht mehr lange. Ein englischer Milliardär hat 15 von 18 Kilometern Strand gekauft. Hier sollen Hotels
mit etwa 5000 Betten entstehen.
Die Insel Boa Vista wurde im 15. Jahrhundert von portugiesischen Seefahrer als Erstes entdeckt und heißt
„Schöner Anblick“. Die Kapverden waren sehr lange portugiesische Kolonie. Auf den einstigen
Sklaveninseln wurden verschleppte Afrikaner festgehalten, bevor man sie nach Portugal und Amerika
verschiffte. Vor 150 Jahren hat ein englisches Dampfschiff auf einer Insel seine Toten abgeladen, die
innerhalb weniger Tage verstorben waren. Die Mannschaft schmiss deren Habseligkeiten ans Ufer. Die
Engländer hatten verschwiegen, dass sie an Gelbfieber verstorben waren. Auf der Insel brach eine
Epidemie aus. Von den 2000 Bewohnern wurde mehr als die Hälfte dahingerafft.
Die Geschichte der Kapverden ist wahrlich kein Ruhmesblatt für uns Europäer. Auch die Gegenwart mit
dem ausufernden Tourismus ist bedrückend. Vielleicht umso wichtiger, darüber zu schreiben.