„PLÖTZLICH KOMMT DIE ANGST“
WOCHENPRESSE 11/1989

Robert Klement*) über die Gründe seiner letztwöchiger Flugblatt-Aktion für Václav Havel auf dem Prager Wenzelsplatz, seine Verhaftung und Abschiebung.

„Hier findet die Flugblätter niemand“, meint der junge Kfz-Mechaniker grinsend und zeigt mir das Spezialversteck auf der Unterseite der Rücksitze ...

Vor zwei Wochen haben sie Václav Havel zu neun Monaten Haft verdonnert. In Krakau protestierten Tausende auf der Straße, der Budapester Schriftstellerverband protestierte, sogar in der DDR regte sich Widerstand.

Nur in Wien blieb es eher ruhig. Diese Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit machen mich fast verrückt. Schon vor zwanzig Jahre habe ich Stücke von Havel in Wien gesehen. Vor allem bewundere ich aber den unerschrockenen Kämpfer für Menschenrechte und Charta-77-Mitbegründer.

„Wir sollten etwas tun“, sage ich zu meinen CSSR-Freunden in Wien, die mir bei den Recherchen zu meinem letzten Roman geholfen haben. In „Durch den Fluss“ habe ich Menschenrechtsverletzungen in Österreichs nördlichem Nachbarstaat aufgezeigt. Vor allem die militärpatriotische Erziehung der Kinder, die ich für ein echtes Verbrechen halte.
Ich bin überzeugt, dass das drakonische Havel-Urteil jeden österreichischen Schriftsteller und Journalisten betroffen machen muss, der die Freiheit besitzt, in unserem Land zu arbeiten. Wir müssen uns daher mit Menschen solidarisieren, die ihre persönliche Sicherheit ihrer Überzeugung opfern.
Dann erscheint der Aufruf in der WOCHENPRESSE. Großartig, sagen meine CSSR-Freunde. Damit könnte man in Prag die Solidarität unserer Künstler und Intellektuellen mit den 2000 Kulturschaffenden der CSSR zum Ausdruck bringen, die in einem Protestbrief an den Premierminister Adamec die sofortige Freilassung Havels verlangt haben. Da der ORF noch weit im Raum Preßburg oder Brünn empfangen wird, können diese Aktionen in der CSSR vielen Mut machen.
„Václav Havel, wir holen dich von dort raus“, ruft Emmy Werner am Ende der Volkstheater-Matinee am 5. März.
Drei Tage später fahre ich Richtung Prag.
Der Zeitpunkt ist sehr bewusst gewählt. In Wien tagen 35 Außenminister. Alois Mock soll sich mit CSSR-Außenminister Johanes getrost wegen meiner Freilassung herumprügeln, falls sie mich schnappen. Voriges Jahr war Franz Vranitzky in Prag. Für die Dissidenten – Fixtermin jedes westlichen Staatschef – hatte er keine Zeit. Doch um einem finster blickenden Fußballtrainer aus Tirol medienwirksam irgendwelche „Fußball-Oscars“ zuzuschanzen, reichte die Zeit des Kanzlers allemal.
Nach letzten Berichten hat sich das Lungenleiden Václav Havels verschlechtert. Neben ihm sind da aber auch noch 5000 andere. Als Mitarbeiter von Amnesty international kenne ich die Berichte der Charta-77 über die katastrophalen Haftbedingungen politischer Gefangener in der CSSR.
Nein, rausholen kann ich Havel nicht. Aber ein Zeichen setzen. Vielleicht.
Am Vormittag gebe ich unserer Botschaft in Prag eine schriftliche Erklärung zu meinem Vorhaben ab („Ihr Verständnis für diese humanitäre Aktion setze ich voraus“). In meiner Tragtasche befinden sich neben den 800 Flugblättern eine Zahnbürste, Rasierer und ein Buch.
Plötzlich kommt die Angst. Schließlich habe ich noch die Bilder vom brutalen Polizeieinsatz vom 16. Jänner am Wenzelsplatz im Kopf.
14 Uhr. Ich verstecke den Aufruf zwischen den Büchern in Buchhandlungen, zwischen den Seiten von Telefonverzeichnissen, in den Briefschlitzen von Hausfluren. Die vielen Passagen rund um den Wenzelsplatz sind für meine „Untergrundtätigkeit“ wie geschaffen. Nach einer Stunde werde ich immer frecher: „Die 100 prominenten Österreicher“ landen sogar im Schaufenster einer Konditorei und auf einer Polit-Anschlagtafel.
16 Uhr. Beim U-Bahn-Abgang in der Nähe des Wenzelsdenkmals herrscht heftiges Gedränge, die Leute kommen von der Arbeit. Es geht los!
Sofort kommen einige Flugblatt-Leser auf mich zu, die den Aufruf überflogen haben. „Richten Sie nach Wien schöne Grüße aus“, ersucht mich eine ältere Dame. Einige jüngere Leute bedanken sich, schütteln mir die Hand. Und plötzlich ist meine Angst wie verflogen. Ich verteile wie im Fieber, sehe vor mir nur ein Meer von Armen. Wenige Meter von hier werden die neuesten Ausgaben von „Tribuna Ludu“ und „Rude Pravo“ verkauft. Kaum jemand interessiert sich dafür, meine Blätter finden hingegen reißenden Absatz.

Nur mehr hundert, der letzte Stoß.

Plötzlich ist die Polizei da, stößt die Leute zur Seite. Einer verlangt meinen Paß. Das Volk murrt aus sicherer Distanz.
„Sie haben Gesetze der tschechoslowakischen Sozialistischen Republik gebrochen“, faucht mich der Verhör-Genosse nach vier Stunden Einzelzelle immer wieder an. „Und Sie brechen fortwährend das in Wien geschlossene KSZE-Abkommen, in dem die CSSR Menschenrechte und Kulturfreiheit garantiert“, entgegne ich immer wieder. Nach wilden Wortgefechten – die ältere Dolmetscherin bricht wegen meiner Sturheit in Tränen aus – wird meine Aussage tatsächlich ins Protokoll aufgenommen. Havel sei ein Agent, ein Unruhestifter, der vom Ausland finanziert werde, möchte man mir einreden. Schließlich habe man ihm doch in Österreich den Staatspreis verliehen ...
Gegen Mitternacht werde ich zur Autobahn Prag-Bratislava eskortiert. Ein Sichtvermerk verlangt, dass ich das Land innerhalb der nächsten Stunden verlassen muss.
Mit dem Erfolg meiner Aktion bin ich zufrieden. Besonders die Sympathien der Menschen vom Wenzelsplatz, die acht Minuten bis zur Verhaftung, haben mir unheimlich viel gegeben.

*) Robert Klement, 40, ist Lehrer in Sankt Pölten. Autor mehrerer Bücher, u. a. „Durch den Fluß“ und „Mit einem Schlag“, Mitarbeiter von Amnesty International und verschiedener Umweltorganisationen.

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Robert Klement