Aufregung im Klassenzimmer
„Heute begrüßen wir einen lebenden Schriftsteller!“
Wie man in 50 Minuten Begeisterung für Bücher erzielt.

Von Robert Klement, Elternmagazin 2004/2005

Selbst nach 20 Jahren Lesungen an Schulen ist da noch immer dieses Kribbeln, diese Aufregung, wenn ich ein volles Klassenzimmer betrete.
Hauptschule Riedau, Oberösterreich. Die Schüler der zweiten Klasse empfangen mich mit einem freundlichen Applaus. Die Lehrerin stellt mich kurz vor, erwähnt, dass ich Hauptschullehrer war. Mindestens einmal pro Jahr bekomme ich auch meine Lieblings-Grußformel zu hören: „Heute begrüßen wir einen lebenden Schriftsteller!“
Der Gast, der seine Bücher vor der Mineralwasserflasche ausbreitet, wird neugierig beäugt, kritisch gemustert. So ein Gast besitzt in der Routine des Schulalltags immer einen gewissen Bonus. Er sollte ihn zu nützen wissen.

Eisige Höhen

Ich beginne mit der „Spur des Schneeleoparden“. Das Publikum folgt mir in die eisigen Höhen des Annapurna-Massivs. Vor mir sitzen keine elitären Literaturkritiker, keine Jury aus Buchpädagogen, die über irgendwelche Preise zu befinden hat. Im Publikum befinden sich eifrige Leser und Lesemuffel, Fans von „Deutschland sucht den Superstar“, Computerfreaks und Leseverweigerer aus der dritten Leistungsgruppe Deutsch.
Wie soll man diesen bunten Haufen ansprechen? Wie soll man in 50 Minuten Begeisterung für Bücher erzielen? Es ist jedes Mal ein Abenteuer, eine Herausforderung.
Auf eine kurze Leseprobe folgt eine Diskussion über den Text. Die Schüler nehmen spontan Stellung. Wo liegen die Spannungselemente, die Reizschwellen? Wir sprechen über bedrohte Tierarten, die Geschäfte der Pelztier-Mafia, die Situation der Menschen im Armenhaus Nepal.
Schüler sind ein kritisches Publikum. Wenn sie sich nicht angesprochen fühlen, antworten sie mit dem subtilen Repertoire der Verweigerung: Tuscheln mit dem Nachbarn, Sesselrücken, Gehuste. Schon der große Maxim Gorki hat vor 100 Jahren erkannt: „Für Kinder muss man schreiben wie für Erwachsene – nur besser!“
Es folgt ein Quizspiel. Gefragt wird nach Moby Dick und Erich Kästner. Wer den Preis – natürlich ein Buch – gewinnt, ist in wenigen Minuten entschieden.

Lesungen sind Dialoge

Lesungen sind heute Dialogveranstaltungen, in die das Publikum maximal einbezogen werden soll. Einfach nur vorlesen genügt nicht – der Autor muss für auflockernde Elemente und Dynamik sorgen. Wenig später macht sich knisternde Krimispannung im Klassenzimmer breit. Ich präsentierte „Ein Schloss in Schottland“, das Publikum soll entscheiden, wer der Täter ist. Die acht Verdächtigen nehmen vor ihren Mitschülern Aufstellung. Ist es Mister Lennox, der Verwalter? Oder Stan Polansky, der merkwürdige Diener? Der Grusel im Schloss entpuppt sich als etwas ganz, ganz anderes – etwas, das alle Schüler kennen, aber auch heute wieder keiner erraten wird. Wer es genau wissen will, muss „Ein Schloss in Schottland“ lesen!

Wie viel für den Autor?

Frau Fattinger, die Bibliothekarin, hat die Lesung gut vorbereitet. Sie lädt jedes Jahr Autoren ein und sieht darin einen Impuls für die Leseerziehung. So ein Autor ist für einen 13-Jährigen nichts als ein Name auf einem Buchcover, eventuell ein Denkmal in einem Park. Und jetzt wird dem Schüler plötzlich klar: Dort steht tatsächlich dieser Typ, von dem wir in Deutsch das Buch gelesen haben.
Zum Abschluss gibt’s eine Leseprobe aus dem GORILLA-Band „Die Rache der Videomonster“. Lukas vernichtet UFO-Piloten und Feuer speiende Monster per Mausklick, doch die Monster schlagen zurück und stehen eines Nachts in seinem Zimmer ...
Nach dem Vorlesen bleibt noch genug Zeit für Fragen der Schüler. Ungläubiges Staunen, als der Autor verrät, dass er pro verkauftes Buch bloß 80 Cent erhält (bei einem Ladenpreis von elf Euro). Die Schüler erfahren, dass ich 17 Bücher geschrieben habe und für so ein Buch rund ein Jahr brauche.
Ich erzähle, dass ich immer einige Testleser, darunter meine Tochter, habe, die mir ihre Meinung sagen, bevor der Verlag das Manuskript erhält. Eine Schülerin möchte wissen, warum ich gerade für ihre Altersgruppe schreibe. Ich versuche zu erklären, dass es eine tolle Aufgabe ist, Jugendlichen den Weg zur fantastischen Welt des Buches zu öffnen.
Wenige Tage nach der Lesung kommen Briefe und Mails – Fanpost, die ich stets gewissenhaft beantworte.
Es läutet. Natürlich werden noch schnell die Autogrammwünsche erfüllt. Der „vorsintflutliche Info-Träger Buch“ hat die Zuhörer doch zufrieden gestellt.
„Wozu Literatur?“, wurde der gestrenge Literaturkritiker Marcel Reich-Ranitzky einmal gefragt, und er hatte eine verblüffend einfache Antwort parat: „Literatur soll Freude machen!“
Die Schüler und Lehrer der HS Riedau bedanken sich mit einem kräftigen Applaus. Heute, so scheint es, ist dieses Vorhaben geglückt.

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Robert Klement