Abenteuer Buchhandlung
Helga Plautz, Buchhändlerin:
Lesen hat nichts an Attraktivität verloren!

Von Robert Klement, Elternmagazin 2004/2005

Lesen, ist das im Zeitalter von TV, PC und Video-Games bei den Kids noch aktuell, Frau Plautz? - „Es gibt keine Konkurrenz fürs Buch“, lautet die überraschende Antwort. „Es gibt ein vernünftiges Miteinander. Wir sehen, dass das Lesen nichts an Attraktivität verloren hat.“
Sofas laden zum Schmökern ein, eine Spielecke mit Bücher-Wühlkiste und Rutsche wird von Knirpsen belagert. Dort blättern drei Teenager im „Mädchenfragebuch“, eine Mutter sucht ein passendes Bilderbuch – und mittendrin Chefin Helga Plautz, Herrin über die Bücher.
Der Preis für die beste Kinderbuchhandlung, alljährlich bei der Leipziger Buchmesse vergeben, ging 2004 nach Gleisdorf. Dort führt die belesene Dame seit 30 Jahren im Familienbetrieb („Wir haben viele gute Seiten“) Regie.
Wozu in Zeiten von amazon.com überhaupt noch in die Buchhandlung gehen? Wo man doch per Mausklick jedes beliebige Buch ordern kann. Die Antwort findet man am Sparkassenplatz 2. im Haus mit der Eule (Firmenlogo): Beratung, persönlicher Service heißen die Zauberwörter. Hier kann man die Atmosphäre genießen und sich bei einem Kaffee durch einen Stapel Bücher wühlen!
Während die Mama zum Einkaufen geht, dient „der Plautz“ als eine Art Kindergrippe, wo der Nachwuchs mit Spielen und Büchern verwöhnt wird. Ein Plakat weist auf eine Rätselrallye hin, die demnächst durch die Buchhandlung führen soll.

„Mit den Kindern kommen die späteren Leser, die Kunden von morgen, in unsere Buchhandlung“, ist Frau Plautz überzeugt. „Wir beraten Kinder mit verschiedenen Interessen und Wissensständen. Wir versuchen stets, den Menschen zu erkennen.“
Während die Geschäftsführerin („Lesen ist meine Hauptbeschäftigung“) ihre Firmenphilosophie erläutert, wendet sich eine Dame an Mitarbeiterin Angelika. Ihr Sohn liege im Krankenhaus, sie suche „etwas Humorvolles, wo man sich so richtig satt lachen kann“. Zielsicher steuert Angelika, Expertin für Kinderbücher, das Regal mit „Berts vorletzten Katastrophen“ an, empfiehlt auch Georgia Byngs „Molly Moon“.
Die Kunden vertrauen sich dem Buchhändler an, suchen Rat. Da ist die Tochter, die auf die kleine Schwester eifersüchtig ist. Der Bub, der seine Schüchternheit nicht ablegen kann. Das Mädchen, das keine Freundinnen findet. „Wir sind oft Psychologen, Seelentröster, Therapeuten“, meint frau Plautz. „Unsere Bücher können einen entscheidenden Denkanstoß geben.“
Vollends ins Schwärmen gerät die Chefin, wenn sie sich den Regalen mit den Bilderbüchern („ein wesentlicher Bestandteil“) zuwendet. Nach wie vor wird nach Mira Lobes Klassiker „Das kleine Ich-bin-ich“ gefragt, doch seit Maurice Sendaks „Wilden Kerlen“ hat sich einiges geändert. Inzwischen greifen Kunden auch nach Axel Schefflers „Grüffelo“, eine Augenweide ist Wolf Erlbruchs „Große Frage“. Tollpatschige Zwerge und rosarote Elefanten haben jedenfalls längst ausgedient.
Natürlich erweisen sich die Zauberkünste eines Harry Potter als Glücksfall. „Diese Bücher haben das Lesen wieder verstärkt ins Gespräch gebracht und die ganze Szene belebt“, meint Angelika. Die Fantasy-Welle mit Werken von Kai Maier und Cornelia Funke (“Tintenherz“) ist gefragt.
Doch große Stapel mit Erfolgstiteln findet man beim Plautz nicht. „Wir pflegen keine Starautoren, wir wollen ein breites Spektrum anbieten“, erklärt Angelika.
Deshalb entdeckt man hier neben den Hör-CDs mit Liedern und Gedichten auch Klassiker wie Pinocchio, Winnetou und Heidi. Oft wollen Eltern die lieben Buchgestalten ihrer Kindheit den eigenen Sprösslingen ans Herz legen. Sogar nach dem Struwwelpeter – Crux verantwortungsvoller Pädagogik – wird nach wie vor gefragt.
Für Leser, die es „urspannend“ mögen, empfiehlt Angelika „Asphalt Tribe“ von Morton Rhue. Die größte Belohnung sei es, wenn von den Kindern ein „Des war klass!“ kommt oder Eltern sagen: „Das Kind hat ja nicht lesen wollen, aber jetzt ...“
Viel Zeit nehmen sich die 16 MitarbeiterInnen des Plautz-Teams, um Verlagsprospekte zu studieren. Das Programm muss zur Buchhandlung, zu den Wünschen der Kunden passen. Plautz versteht sich auch als Servicestelle für Schulen und öffentliche Bibliotheken. Die Buchhandlung vermittelt Schullesungen mit bekannten Autoren, immer wieder werden Buchausstellungen und Lesenächte organisiert, wobei der Buchklub der Jugend ein wichtiges Bindeglied darstellt. Engagierte Deutschlehrer, denen Leselust statt Lesefrust ein Anliegen ist, sind die wichtigsten Kontaktpersonen.
Vor 40 Jahren hat der amerikanische Medienforscher Marshal McLuhan das Ende des Buchzeitalters prophezeit. „Da kann ich nur lachen“, schüttelt Helga Plautz verwundert den Kopf. „Ein Buch ist nicht zu ersetzen. Es ist ein Gesamtkunstwerk und kann so viel, was elektronische Medien niemals vermögen.“

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Robert Klement