Auf der Spur der Leoparden
In den Bergen Nepals leben die letzten Schneeleoparden.
Wilderer machen Jagd auf sie.

Von Robert Klement, TOPIC 10/2003

Gerade wollte ich aufgeben, als ich hinter mir ein Rascheln hörte. Ich stand reglos da, wagte kaum zu atmen. Das pelzige Etwas beobachtete mich geduckt aus seinen kalten grünen Raubtieraugen. Es schien etwas kleiner zu sein als meine Katze daheim. Das Kätzchen war in einem jämmerlichen Zustand und sah aus, als hätte es jemand mit heißem Wasser übergossen.
Ich wagte einige vorsichtige Schritte, worauf das Leopardenjunge davonhoppelte und mich aus sicherer Distanz beäugte. Neugier und Furcht schienen sich die Waage zu halten. Bei den ersten Fangversuchen schlug das Kätzchen gekonnt einige Haken, ich griff immer wieder ins Leere. Bei der folgenden Attacke glitt ich auf blankem Eis aus und fiel der Länge nach hin.
Das Kätzchen hatte großen Spaß daran, mich zu narren. Doch so leicht ließ ich mich nicht abschütteln. Ich schnitt dem Kerlchen den Weg ab, es musste in eine rutschige, abschüssige Rinne ausweichen, verlor den Halt und glitt mir schließlich direkt in die Hände.
Zunächst fauchte mich das Junge wütend mit angelegten Ohren an, seine scharfen Krallen verhakten sich in den Gummihandschuhen. Ich hatte das kleine Fellknäuel aber schnell im Griff und versuchte, es durch meine Stimme zu beruhigen. Nach kurzer Zeit gab es seinen Widerstand auf und begann behaglich zu schnurren.
Das Mäulchen öffnete sich, und eine kurze rosa Zunge kam zum Vorschein. Die vorderen Reißzähne waren schon deutlich ausgeprägt.
Das Weibchen fühlte sich schlaff und kühl an. Zwei Pfoten waren wund, rohes Fleisch schimmerte zwischen den Haarbüscheln.

„Wieso konntest du das wissen?“, schrie ich Sushil an, der plötzlich hinter mir stand. „Verdammt, wie hast du wissen können, dass der kleine Leopard hier ist?“
„Zauberei“, sagte Sushil grinsend.
„Hilf mir jetzt sofort beim Suchen, Sushil. Vielleicht finden wir auch das zweite.“ – „Die Mühe kannst du dir sparen. Mehr als eins wirst du nicht finden.“
„Und woher weißt du das schon wieder?“
„Ich habe vor einer Stunde beobachtet, wie ein Lämmergeier in diesem Lawinenkegel landete. Wahrscheinlich ist er mit einem Beutetier weggeflogen.“
„Du meinst ...“
Sushil nickte. Ich war traurig und enttäuscht, tröstete mich aber rasch mit dem kleinen Findling.
Die Sonne stand bereits tief, wir mussten uns beeilen, um pünktlich beim Treffpunkt zu sein. Das Kätzchen klagte seinen Hunger mit Maunzen und Wimmern. Arbogast wird sicher wissen, wie man es langsam wieder aufpäppeln kann, dachte ich.
Auch am nächsten Tag drehte sich alles um Chang – so hatten wir das Junge getauft. Es würde in den New Yorker Zoo übersiedeln, so viel stand fest. Doch zuvor musste Chang zu Kräften kommen, weil sie in ihrem geschwächten Zustand die Reise nicht überlebt hätte.
Chang saß in einer Kiste, die die Form eines Würfels mit einem Meter Seitenlänge hatte. Oben und an einer Seite befanden sich verschließbare Gitterteile. Der Boden war mit Holzwolle weich gepolstert. Arbogast hatte noch am Abend am neuen Heim des Leopardenjungen gebastelt. Morgens durfte ich Chang aus der Kiste nehmen und streicheln. Sie erkannte mich sofort, begrüßte mich mit einem freundlichen Maunzen und rieb ihren Kopf an meinem Kinn.
Am Anfang hatten wir ein Riesenproblem: Denn obwohl Chang halb verhungert war, wollte sie nicht fressen! Unser Koch hatte Fleisch in kleine Würfelchen geschnitten, doch die samtpfötige Lady verschmähte alles, was man ihr anbot, und zog angewiderte Grimassen. Sie fauchte unwillig und zerbiss wütend den Schnuller, der auf dem Fläschchen mit Kondensmilch saß.
Aber auch hier wusste der Professor Rat. Er griff zu einem Pinsel und bekleckerte Changs Fell mit Schlagobers. Diese Attacke beantwortete Chang mit einem zornigen Fauchen und begann sofort, sich mit der Zunge zu reinigen. Wir beobachteten fasziniert, wie sie nach und nach auf den Geschmack kam.
Chang wurde der unbestrittene Star unseres Camps. Das drollige Junge unterhielt uns mit allerlei Kunststücken. Die vielen Fotoapparate, die auf Chang gerichtet waren, schreckten sie nicht. Und was mich betraf, ich platzte förmlich vor Stolz und genoss die Anerkennung des gesamten Teams.
Wenn ich an die Wilderer dachte, die Changs Mutter brutal gemeuchelt hatten, packte mich die Wut. Eigentlich waren mir Hassgefühle immer fremd gewesen. Aber solche Grausamkeit hatte hier wohl keiner von uns vermutet.
Arbogast hatte damit einen Schneeleoparden verloren, aber gleichzeitig ein Junges gewonnen, das in das erfolgreiche Erhaltungs-Zuchtprogramm des New Yorker Bronx-Zoos eingegliedert werden sollte. Der Professor erzählte mir vom Leopardenpaar Cherry und King. Beide waren in Gefangenschaft geboren und hatten inzwischen selbst zwei Junge. Arbogast war zuversichtlich, dass Cherry und King die junge Artgenossin aus Nepal adoptieren würden. Somit würde Chang bald zwei fast gleichartige Spielkameraden bekommen.

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Robert Klement