Den Flüchtlingen Gesichter erspielen
Wenn das Mittelmeer zum Grab für Menschen wird, die vor Krieg und Elend flüchten - Jugendliche spielen das Stück "70 Meilen zum Paradies - Sehnsucht Lampedusa"

Von Heinz Wagner – kurier.at

Foto: Heinz Wagner

Die Bühne liegt ziemlich im Dunkeln – praktisch die ganze Aufführung lang. Geht’s doch um finstere Geschäfte einerseits, vor allem aber um Menschen, deren Schicksale sie im Schatten der Gesellschaft, der Welt um ihr (Über-)Leben kämpfen lassen – um Flüchtlinge, solche, die alles riskieren, um Krieg und Not – vermeintlich – hinter sich zu lassen und sich von Somalia, Eritrea oder Nigeria aus nach Europa durchzuschlagen. Und vielleicht ihr Leben im Mittelmeer zu lassen, oft nur wenige Kilometer vom erträumten Hafen des Glücks entfernt, vor der italienischen Insel Lampedusa. Es gibt auf keiner Bühne dieser Welt ein wohl aktuelleres Stück als „70 Meilen zum Paradies – Sehnsucht Lampedusa“. Gespielt von rund einem Dutzend sehr junger, meist noch jugendlicher, Schauspielerinnen und Schauspieler. Für manche ist’s – oder war’s (?) das erste, für andere schon das sechste Stück mit der Initiative „european grouptheater“.

Realistische Geschichten

Foto: Barbara Pálffy

Das Stück, das auf einem vor mehr als einem halben Jahrzehnt sogar schon mit dem Jugendbuchpreis ausgezeichneten Jugendbuch von Robert Klement basiert, erzählt vor allem die Geschichte von Siad und seiner Tochter Shara (ausgedache Figuren, aber alle Einzelheiten hat der Autor intensiv recherchiert). Deren Mutter und die jüngere Schwester wurden bei einem Granatenangriff auf ihr Haus durch berüchtigte Milizen getötet. Siad, Krankenpfleger, der bei einem weiteren Angriff, Kranke in Sicherheit bringen musste, fasst den Entschluss: Wenigstens die einzige überlebende Tochter soll gerettet werden, verkauft alles Hab und Gut, um sich von Fluchthelfern nach Nordafrika geleiten zu lassen, um dort mit einem Boot nach Europa kommen zu können.

Glaubhaft gespielt

Foto: Barbara Pálffy

Geldgierige Schlepper, aufkommende Streits und Auseinandersetzungen beim Warten auf das Boot ebenso wie auf dem brüchigen Kutter, mit Müh und Not lebende Ankunft auf Lampedusa, unhaltbare Zustände im von Stacheldraht umzäunten Lager… - all das schrieb der Autor nach hunderten Gesprächen mit Flüchtlingen und anderen Beteiligten in Tunesien und auf Lampedusa. Glaubhaft, überzeugend, berührend spielen das die Jugendlichen. Und weil auf den Bühnen immer mehr Platz ist als auf diesen Rostkähnen, wird der Raum durch kauernde, liegende, stehende, Holzfiguren in Form von Schattenrissen (optisch) eingeengt.

Tränen

Foto: Barbara Pálffy

Auch wenn sie gelernt haben, professionell zu spielen, bleiben sie auch emotional nicht unberührt, einige brechen am Ende des Stücks in Tränen aus – auch, weil das Stück (vorerst?) zum letzten Mal gespielt wurde und die Aufführungen im großen Volkstheater abgesagt werden mussten, weil der Verein in Insolvenz geschickt wurde, weil zugesagte Subventionen nicht ausbezahlt wurden/werden.

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Robert Klement