Sehnsucht ist ein zentraler Begriff in Robert Klements im Jungbrunnen Verlag erschienenem Buch „70
Meilen zum Paradies“, das in Tunesien, auf Lampedusa und schließlich in Crotone in Kalabrien angesiedelt
ist – Orte, die sich in unseren Ohren nach Paradies anhören, nach Urlaubsparadies. Für die Heldinnen und
Helden in Klements dokumentarischem Roman meint Paradies etwas anderes: Einen Ort nämlich, an dem ein
Leben ohne Krieg, ohne Angst, ohne Hunger, ein Leben in Würde möglich ist. Sie sind aus Somalia, Angola
oder anderen Ländern Afrikas geflohen, haben bei ihrer Ankunft in Tunesien schon die Überquerung des
halben Kontinents hinter sich, sie glauben, dass nur mehr 70 Meilen sie vom Paradies trennen.
Ab diesem Augenblick sind wir mit Klements Roman dabei: Wir sehen zu, wie 57 Menschen die knapp 130
Kilometer Meer auf einem schrottreifen Fischkutter ohne Kapitän überqueren. Und wir können nicht
abschalten. Wir müssen zusehen, wie die Überlebenden in Europa ankommen, wie sie im Ferienparadies
Lampedusa in einem Auffanglager wie Tiere leben müssen, wie die meisten zurückgeschickt werden nach
Afrika, wie einigen wenigen Asyl gewährt wird, und wie sie auf den süditalienischen Gemüseplantagen
ausgebeutet werden. Wir sind dabei, wenn sie sterben – oder, schlimmer noch – wenn sie sich wünschen,
zuhause oder auf der Überfahrt gestorben zu sein. Wir hören zu, wenn ein 14-jähriges Mädchen während
eines Sturmes auf hoher See schluchzt: „Ich will wieder heim nach Somalia“ – wo kurze Zeit vorher ihre
Mutter und Schwester bei einem Granatenangriff auf ihr Haus gestorben sind.
Man läuft Gefahr, pathetisch zu werden beim Reden über dieses Buch, das selbst frei von Pathos ist.
Es ist ein stilles Buch, das sachlich und genau von einer Realität erzählt, die zum Himmel schreit. „Man
muss der Leserin und dem Leser die Wahrheit sagen, auch wenn sie schmerzlich ist.“ hat Robert Klement in
einem Gespräch gemeint – und damit die große Ingeborg Bachmann zitiert mit ihrem Diktum „Die Wahrheit
ist dem Menschen zumutbar“. Bei Bachmann heißt es: Es kann „nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein,
den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn - im Gegenteil
- wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen.“ Robert Klement hat das getan.