Der Sturm ist grauenhaft. Man hört Flüche, klägliches Heulen und gewinselte Gebete. Das kleine
Fischerboot ist bloß noch ein Spielball der Wellen.
Unter den 60 Passagieren auf dem Weg nach Europa befinden sich Shara und ihr Vater Siad. Die beiden
Flüchtlinge stehen im Mittelpunkt der Handlung meines neuen Buches. Für diesen Roman habe ich mit
zahlreichen afrikanischen Bootsflüchtlingen gesprochen, die mir ihre Schicksale erzählten. In Tunesien
habe ich gesehen, dass sich in der Gegend von Sfax viele Flüchtlinge aufhielten, die auf ein Boot nach
Lampedusa, eine italienische Insel und Vorposten Europas, warteten.
An der Mittelmeerküste floriert das Geschäft mit der Not. Siad und Shara haben einem Schlepper das
Vermögen von 4.000 Euro bezahlt, damit er sie von Somalia nach Europa bringt. Für diesen Betrag musste
der Krankenpfleger Siad ein volles Jahr arbeiten.
„Es sind ja bloß 70 Meilen zum Paradies“, hörte ich in Tunesien immer wieder von den Flüchtlingen.
Sie hatten hier nur ein Thema: Europa. Die neue Heimat. Die Rettung vor Hunger, Gewalt und
Hoffnungslosigkeit.“Die in Europa haben alles“, sagte mir ein Nigerianer. „Autos, Fotohandys,
Digi-Kameras ...“
Siad und die 15-jährige Shara sind vor dem Krieg in ihrer Heimat Somalia geflüchtet. Siads Frau und
seine älteste Tochter wurden bei einem Anschlag auf ein Haus getötet. Der Weg durch die Sahara war
zermürbend. Sie wurden auf Pisten durchgeschüttelt. Es gab keinen Schatten, kaum Wasser und Nahrung. 650
Kilometer Dünen, Berge, Sand. Mit nicht mehr im Gepäck als den Traum von einem besseren Leben.
Nach wochenlangem Warten an den Stränden der Verzweifelten erreicht Siad und Shara die verschlüsselte
Botschaft: „Das Boot ist bereit!“ Wenig später nimmt der Kutter Kurs auf Europa.
Es ist ein schmutziger Kahn für ein schmutziges Geschäft. Er besitzt einen hustenden Außenmotor mit
knapp 15 PS. Während der Überfahrt verliebt sich Shara in Stany, einen Studenten aus Nigeria. Endlich,
nach acht Tagen, erreicht das Fischerboot Lampedusa.
Meine Recherchen auf der italienischen Insel waren schwierig. Natürlich durfte ich das Flüchtlingslager
nicht betreten, doch ich habe in Italien und Österreich Flüchtlinge getroffen, die mir vom Alltag in den
Baracken erzählten.
Sie hatten nur wenige Toiletten, Duschen, Waschbecken. Die Flüchtlinge wurden von den Aufsehern mit
Ohrfeigen und Fußtritten traktiert. Der Gestank im hoffnungslos überfüllten Lager war bestialisch. Ein
Geruch der sich in Kleidern, Haaren und Nasen festsetzte und sich nachts nicht aus den Träumen waschen
ließ.
Besonders berührt hat mich der Friedhof der Namenlosen. Hier werden die ertrunkenen Bootsflüchtlinge
begraben. Auf den Holzkreuzen stehen Nummern statt Namen, denn niemand weiß, wie die Toten heißen und
woher sie kamen.
Nach wenigen Tagen im Lager erlebt Shara einen Schock: Ihr Freund Stany wird nach Afrika
zurückgeschickt. Sein Traum von Europa ist ausgeträumt. Dann, nach fast zwei Monaten hinter Stacheldraht
und Eisengittern, öffnet sich für Siad und seine Tochter Shara das Tor ins erhoffte Paradies.
Shara findet Aufnahme in einem Internat, ihr Vater arbeitet auf einer Tomaten-Plantage.
Im Raum Neapel habe ich gesehen, dass Tausende Illegale unter menschenunwürdigen Bedingungen als
Schwarzarbeiter schuften. Diese Menschen leben in primitiven Unterkünften am Rande der Städte. Der
Kellner eines Restaurants sagte mir: „Am Morgen brauchen wir diese Arbeiter, am Abend sind sie
überflüssig.“
Shara und ihr Vater wollen nach Kanada auswandern, das Kriegsflüchtlinge großzügig Asyl gewährt.
Doch das Geld für ein Visum und die beiden Flugtickets sind nur schwer aufzutreiben. Eines Tages macht
Shara eine Entdeckung, die ihr Leben und das ihres Vaters mit einem Schlag verändert. Doch alles soll
hier wirklich nicht verraten werden.