Der Mann ist wütend. Er reißt mir den Film aus der Kamera, dann versetzt mir der Carabiniere einen Stoß
und schreit, ich soll mich hier nie wieder blicken lassen: „Vattene – hau ab!“
Das Flüchtlingslager auf der italienischen Insel Lampedusa ist militärisches Sperrgebiet –
Journalisten unerwünscht!
Von dem Stacheldrahtverhau weht einem starker Müllgestank entgegen. Hier leben 600 Flüchtlinge – in
einem Lager, das bloß für 150 ausgerichtet ist.
Mehr als 1000 Afrikaner wagen jede Woche die Flucht über das Mittelmeer. Sie erhoffen sich ein
besseres Leben, zahlen Unsummen an Schlepper, werden wie Vieh in Boote gepfercht. Viele ertrinken bei
dem Versuch Europa zu erreichen.
Die Menschen im Lager hatten Glück und überlebten die Überfahrt. Ob sie bleiben dürfen oder
abgeschoben werden, entscheidet sich in den nächsten Monaten.
Siad zahlte für drei Plätze (für sich, seine Frau und sein Kind) 2500 Euro auf einem Uralt-Fischkutter.
Er kommt aus Somalia, das seit 13 Jahren in Anarchie und Chaos versinkt. Dort hat er Haus und Vieh an
die Kriegsherren abgeben müssen.
„Wir hatten nichts mehr zu verlieren“, meint er. In ein bis zwei Tagen würde er Lampedusa, den
südlichsten Fleck Europas, erreichen, sagten ihm die Schlepper. Von Tunesien aus sind es ja bloß 70
Meilen bis zum Paradies. Zehn Stunden nach dem Ablegen erlitt das mit 85 Personen völlig überladene Boot
einen Motorschaden und schaukelte antriebslos auf den Wellen.Die Flüchtlinge hatten nur für zwei Tage
Wasser und Nahrung.
Nach fünf Tagen mussten sie die ersten Leichen, darunter mehrere Kinder, dem Meer übergeben. Nach
zehn Tagen konnten die Soldaten der „Guardia Costiera“ bloß 15 Personen retten.
Seit 1999, dem Beginn der Massenflucht, ertranken mehr als 4000 afrikanische Bootsflüchtlinge im
Mittelmeer. Sie flohen vor dem Bürgerkrieg in Liberia, der Hungersnot in Äthiopien, dem Elend im Kongo.
Viele geben an, politisch Verfolgte zu sein, und wollen so die Zurückweisung verhindern. Ein Teil wird
abgeschoben, ohne dass den Flüchtlingen überhaupt die Möglichkeit gegeben wird, einen Asylantrag zu
stellen. Ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht!
Das Geschäft mit der Not floriert. Die Gewinne sind im Schleppergewerbe höher als im Drogenbusiness.
Skrupellose Menschenschmuggler verladen das Armutsheer auf „Seelenverkäufer“, schrottreifer Kähne. Viele
verdursten bei den Fußmärschen durch die Sahara, mindestens ebenso viele werden unterwegs von Räubern
umgebracht.
Wer das ersehnte Ziel, die Europäische Union, erreicht hat, den zieht es als Schwarzarbeiter in den
norditalienischen Industriegürtel, wo die Afrikaner willkommen und umworben sind.
Manche Flüchtlinge versuchen es durch die Meerenge von Gibraltar, das „größte Wassergrab Europas“.
Doch dieser Fluchtweg wird inzwischen schärfstens überwacht. Wer es trotzdem schafft hat gute
Aussichten, in Südspanien als illegaler Taglöhner auf Plantagen zu schuften.