Der Schneeleopard ist eines der seltensten Tiere in der Welt. TOPIC-Reporter Klement wollte ihn sehen. Der Weg führte ihn nach Nepal.
Das Atmen fällt in dieser Höhe schwer. Hier wächst kein Baum mehr. Der Schnee liegt schmutzig grau auf den steilen Geröllhalden. Wir können ihn nicht sehen, wissen aber, dass er stets in unserer Nähe ist, uns beobachtet: der Schneeleopard. Die Sonne blendet mich, der Pfad ist gefährlich. Seit Stunden wandern wir durch die zerklüftete Annapurna-Region an der Grenze zu Tibet: acht Freiwillige des Earthwatch-Instituts, deren Aufgabe es ist, Daten über den Schneeleoparden und sein Leben im Himalaja zu sammeln (siehe www.earthwatch.org).
Sein helles, prächtig geflecktes Fell macht den Schneeleoparden zu einer der eindrucksvollsten
Großkatzen. Obwohl durch mehrere internationale Übereinkommen geschützt, gilt er als hochgradig
gefährdet. Nur noch etwa 400 Exemplare gibt es in der Region Nepal-Tibet.
Das Earthwatch-Projekt soll die Schneeleoparden vor Wilderei schützen und prüfen, ob es genug
Beutetiere gibt. Auch das ökologische System der Hochgebirgsregion erforschen wir.
Die Einheimischen nennen ihn „schöner, scheuer Berggeist“. Er ist ein Einzelgänger und jagt
Steinböcke, Wildschafe, Mufflons und Schneehühner.
Meist ist er aber selbst der Gejagte. Sein dichtes, langhaariges und flauschiges Fell, das ihn gegen
die raue Witterung schützt, wird auf dem illegalen Markt zu Höchstpreisen gehandelt. Ein Mantel aus
Schneeleopardenfellen erzielt rund 50.000 Dollar.
Seine Knochen werden zermahlen und in der traditionellen chinesischen Medizin für allerlei Wundermittel verwendet. Schneeleoparden sind wie Gold, das auf Beinen läuft, behaupten die Wilderer. Sie arbeiten mit Fallen und sind oft mit modernen Repetiergewehren und Nachtsichtgeräten ausgestattet.
Unser Zeltplatz in 5000 Meter Höhe bietet ein gewaltiges Panorama: an der Grenze zu Tibet die
kaltgezackte Linie des Himalaja, im Westen die Achttausender Annapurna I und Manaslu, die sich im
letzten Licht des Tages in eine rötlich glühende Felsenmauer verwandeln.
14 Achttausender gibt es weltweit, acht liegen in Nepal, dem „Dach der Welt“. Der Lebensraum des
Schneeleoparden erstreckt sich über das gesamte Himalajamassiv und umfasst zwölf Länder. Am zweiten Tag
entdecken wir seine Spuren. Die Fußabdrücke sind nicht sofort als die einer Raubkatze auszumachen, denn
das Tier besitzt „Schneeschuhe“ aus Haarpolstern, die das Einsinken im Schnee verhindern sollen.
Das kräftige Tier mit dem buschigen langen Schwanz lebt gewöhnlich in Höhen von 1500 bis 6000 Metern
und ist äußerst scheu. Selbst ältere Einheimische haben noch nie einen Schneeleoparden gesehen.
„Er kann wenige Meter vor dir stehen, und du wirst ihn nicht erkennen“, sagt Professor Mahesh Gurung,
Biologe und Leiter unseres Projekts. Das rauchgraue Fell mit den rosettenförmigen Flecken ist in der
Felsregion ein vorzügliches Tarnkleid.
Mit uns Wanderern hätte er leichtes Spiel, doch es gibt keine Berichte, dass Schneeleoparden jemals
Menschen angegriffen hätten.
Unsere Exkursionen führen durch entlegene Dörfer. Die Menschen sind freundlich und erwidern lächelnd
unser „Namasté“ - „Guten Tag“. Wütend zerrt der Wind an den bunten Gebetsfahnen, Yaks glotzen uns
gleichmütig nach, am diamantblauen Himmel kreisen Lämmergeier.
Die Temperaturen im Oktober sind tagsüber angenehm, nachts fällt das Thermometer knapp unter den
Gefrierpunkt. Bei Einbruch der Dunkelheit können wir einmal eine Herde der seltenen Blauschafe,
bevorzugte Beutetiere des Schneeleoparden, an den steilen Berghängen beobachten. Der geschmeidige Jäger
ist ein hervorragender Kletterer und fantastischer Springer, der Weiten von bis zu 16 Metern schafft –
das ist Weltrekord im Tierreich!
Zwar darf der prächtige Pelz des Schneeleoparden aufgrund internationaler Vereinbarungen seit bald 20
Jahren nicht mehr gehandelt werden, doch blüht der illegale Handel noch immer. Vor allem in Russland,
China und Japan sind die Felle gefragt.
Kathmandu, die Hauptstadt Nepals, ist ein Umschlagplatz des internationalen illegalen Pelzhandels.
Im Touristenviertel Thamel gibt es Dutzende Shops, die Lederwaren anbieten. Auch Pelze von
Schneeleoparden? Vor meiner Abreise gebe ich mich als Kaufinteressent aus. Da ließe sich etwas machen,
erklärt gleich der erste Händler. Ich solle am nächsten Tag wiederkommen. Als Ort des Geschäftes wird
das zwielichtige Hotel Red Planet vereinbart. Soll ich hingehen, zuvor die Polizei einschalten?
Polizisten würden oft bei illegalen Geschäften mitmischen, erklärt mir unser nepalesischer
Projektleiter, der mir rät, den Termin platzen zu lassen.
„Hast du einen Schneeleoparden gesehen?“, fragen mich Freunde, als ich wieder in Österreich bin.
„Nein“, antworte ich, „aber ich weiß jetzt, wie man ihm helfen kann.“
Viel Zeit bleibt nicht mehr. Sonst sind die Schneeleoparden als Wildtiere bald für immer verloren.